"...sahst Du mich an."

Ich will Euch auch was erzählen - von meinen Erlebnissen. Schon lange. Seit ich versuche über religiöse Erfahrung zu schreiben, verstehe ich, wieso sich Spiritualität so häufig in Kunstwerken ausdrückt: Weil glauben ganz einfach ist, darüber sprechen aber nicht immer leicht fällt. Deshalb mache ich heute eine Anleihe bei Ernesto Cardenal. Er hat ein Gedicht verfasst ("Ich löschte das Licht, um den Schnee zu sehen..."), dessen Form ich mit meinen eigenen Erfahrungen während einer Exerzitienwoche fülle: Gott begegnen ist ganz einfach.

Ich setzte mich um zu meditieren und sah das Licht der Kerze.
Doch dann sah ich, dass die Flamme der Kerze nur ein Lichtschein ist, und durch dieses Licht sahst Du mich an.

Ich versuchte zu meditieren und hörte den Lärm der Baustelle und das Rauschen des Heizkörpers.
Doch dann hörte ich, dass alle diese Geräusche auch Klänge sind, und durch diese Klänge sprachst Du mich an.

Ich konzentrierte mich auf meinen Atem und spürte, wie die Luft durch meinen Körper ein- und ausströmt.
Und da spürte ich, dass dieser Strom Dein Lebensatem ist, und durch diesen Atem bläst Du Dein Leben in meine Seele.

Ich reichte die Schale weiter, die mit dem Brot, das Du selbst bist, und berührte die Hand eines Menschen.
Dabei fühlte ich, dass das Ertasten von Nähe, Wärme und Brot wieder nur Berührungen sind, und in diesen Berührungen rührtest Du mich an.

Ich salbte die Hände einer Frau, die mir vorher das Gleiche getan hat.
Und ich lernte, dass in der Zärtlichkeit von Geben und Nehmen die Gemeinschaft entsteht, deren Mitte Du selber bist.


Martina

Ansteckungsgefahr!

"Ich muss euch was erzählen!" Wenn die "beste Ehefrau von allen" - ok, ist bei Kishon geklaut, stimmt aber trotzdem! - schon mal so eine Rede beginnt, spitzen alle die Ohren.

Unsere Familie saß bei einem späten Frühstück, als meine Frau uns berichtete, was sie kurz zuvor an der Kasse eines Supermarktes erlebt hatte. Vor ihr war eine alte Frau an der Reihe, die jede Menge Waren auf das Förderband legte unter anderem einen Strauß Tulpen. Als sie alles bezahlt und wieder verstaut hatte, nahm sie den Blumenstrauß und schenkte ihn der Kassiererin. "Für Sie." Dass diese völlig überrascht, zutiefst gerührt und erfreut war, wird jeder nachvollziehen können.

Doch diese kleine Begebenheit ging noch weiter. Als sich meine Frau, die nur ihren Korb dabei hatte, abmühte, die gescannten Waren schnell genug wieder in ihren Korb zu packen, schob der Herr, der hinter ihr in der Kasseschlange stand, seinen Einkaufswagen ran und stellte ihren Korb hinein, damit sie in Ruhe einpacken und zahlen konnte. Er lächelt meine Frau an und meint: "Gute Taten stecken halt an."

Josef P.

Wie Beten ganz leicht wird

„Allahu akbar“, ruft der Muezzin der Muslime: „Gott ist größer!“ „Was immer du denkst, was immer du sagst: Gott ist größer! Bei den Juden ist das, glaub ich, ähnlich. Der Mensch soll sich kein Bild von Gott machen, er würde etwas Unmögliches versuchen. Gott ist größer!

Christlich gesehen ist das genau so. Es ist jedoch auch umgekehrt. Gott ist der Größte und zugleich der Kleinste. Ein abenteuerlicher Gedanke!

Herodes brachte aus Angst um seinen Thron vorsichtshalber alle Knaben um. Jesus wollte den Palast überhaupt nicht. Die Menschen wollen bedient werden. Gott wusch Füße. Alle Welt will hoch hinaus: Der Herr über alle Konten wollte nicht mal ein eigenes Zuhause. „Wer mich sieht, der sieht den Vater“: Jesus hat uns Gott gezeigt; Der Größte ist der Kleinste.

Natürlich bleibt Gott der Gott in Ewigkeit, natürlich der Herr der Heere. Natürlich wird jedes Knie sich beugen; Er ist aber zugleich genau derselbe, der am Kreuz zum Herz zerreißen jammerte; auch wenn er der Tapferste war. Wir denken zu wenig über Gott nach; Ich meine wirklich.

Wir Menschen wollen einander kennenlenen. Wir wollen voneinander was zu erzählen haben, den lieben langen Tag. Neugier über Neugier. Wenn wir von Gott reden, sind wir gleich schon immer irgendwie fertig. Gott ist eben Gott, punkt. Hand aufs Herz: Wann haben wir zuletzt wirklich über Gott gesprochen? Über seine Größe, Liebenswürdigkeit, über sein Opfer für uns? Die Engel preisen ihn und können nicht genug davon bekommen, weil sie ihn sehen, weil sie sehen, wie er ist. Wollen wir ihn nicht mal wieder kennenlernen und entdecken?

Thomas von Aquin nennt ihn das Wunderbarste, Liebenswürdigste, schlechthin. Der Gott, den man einfach nur lieb haben will, sobald man ihn nur ahnt. Jesus nennt ihn unseren Vater. Dann muss er einer sein, dem man auf den Schoß springen und ihn feste drücken möchte. Ob das stimmt? Sollten wir das entdecken, dann beten wir ganz von selbst. Dann ist es wirklich ganz leicht.

J.R.Hanses

Betende Radfahrer

Manchmal stellt man im Gespräch mit Kollegen fest, dass man vielleicht gleiche Bekannte hat, schon mal am selben Ort Urlaub machte oder das gleiche Hobby pflegt. So stießen eine Kollegin und ich darauf, dass wir beide die Zeit des Radfahrens zur Arbeit zum Gebet nutzen.

Geschenkte Zeit

Ich fühle mich priveligiert, dass ich so nah bei meiner Arbeitsstätte wohne, dass ich in knapp zehn Minuten auf teils wenig befahrenen Nebenstraßen dorthin radeln kann, was ich natürlich gerne tue. Irgendwie ganz von selbst stellte sich dann auf diesem Weg ein, dass ich mit meinen Gedanken bei Gott landete: Da waren Dinge, die im Beruf an diesem Tag anstanden und deren Ausgang noch ungewiss war. Oder ich musste an die Kinder denken, die eine wichtige Schulaufage zu meistern hatten. Zum Glück seltener ging mir ein Streit mit meiner Frau nicht aus dem Sinn, den wir noch beim Frühstück hatten. Manchmal war es einfach nur die Freude über einen strahlenden Morgen, der mich auf dem Fahrrad ganz anders anlacht als durch eine Windschutzscheibe. Ganz normale Dinge eben, die jeder von uns kennt. Wenn ich so meinen Gedanken nachhing, mündeten sie automatisch in einem Gebet, in einer Zwiesprache mit Gott. Oft in einer Segensbitte für den heutigen Tag mit allem, was er mir und den Menschen, die mir am Herzen liegen, bringen mag. Oder einfach auch nur in einem spontanen DanK: "Danke, lieber Gott, für diesen schönen, neuen Tag!" Es gesellten sich auch ein paar vorformulierte Gebete wie das Vaterunser oder ein Gebet um den Heiligen Geist hinzu, sodass der Weg zur Arbeit zu einem echten Ritual geworden ist. Dieses Ritual bewahrt mich davor, einfach so in (und damit meist durch!) den Tag zu stolpern.
Eine Zeit lang hatte ich zum Sprachenlernen fremdsprachige Podcasts auf dem Arbeitsweg angehört. Doch habe ich dies wieder aufgehört, weil ich merkte, dass mir diese wenigen Minuten mit mir und Gott am Beginn meines Tages fehlten.

Josef P.